Die Alexander-Technik und Lampenfieber

Vortrag für Studierende der Musikhochschule Freiburg, gehalten im Rahmen der Vorlesung „Musik und Medizin“

Im Rahmen dieser Vorlesung war schon öfters die Rede vom Lampenfieber, das sicherlich eine wichtige Erscheinung ist, die uns als Musiker beschäftigt. Ich möchte heute vom Standpunkt der A.T. erläutern, wie wir damit umgehen können und damit werde ich notwendigerweise auch einige der Grundbegriffe der A.T. erklären. Nehmen wir an, ich habe etwas Aufregendes vor, beispielsweise einen Vortrag über A.T. zu halten, oder Sie haben etwas Aufregendes vor, beispielsweise aufzutreten und vorzuspielen oder vorzusingen... Was geschieht in so einer Situation in unserem Organismus? Vor allem eines: Adrenalin-Ausschüttung! Zu irgendeinem Zeitpunkt werden wir uns der Folgen dieses Prozesses bewusst. Wir spüren mehr Energie, Herz und Atmung beschleunigen sich etcDies alles ist an und für sich normal und den besonderen Anforderungen der Situation angemessen – wir brauchen mehr Energie, um so eine Aufgabe erfolgreich meistern zu können. Problematisch wird es erst, wenn wir diese Reaktionen als unangenehm oder gar bedrohlich empfinden.

Wie gehe ich mit dieser Situation vom Standpunkt der A.T. aus betrachtet um? Wie fange ich an? Was werde ich tun oder vielmehr — was werde ich nicht tun? Meine erste Idee - nachdem ich wahrgenommen habe, dass ich aufgeregt bin - wird sein, diese Aufregung nicht zu unterdrücken, nicht zu verstecken oder zu verleugnen. Das ist zwar einfach gesagt, braucht aber in der Praxis eine gewisse Zeit und Geduld, um dauerhaft und zuverlässig umgesetzt zu werden. Das Ganze ist sowohl ein mentales als auch körperliches Geschehen und beginnt mit den Einstellungen, die wir im Laufe der Zeit dieser Aufregung gegenüber entwickelt haben. Oft laden wir diese zusätzliche Energie nicht ein, sondern bekommen Angst vor ihr und wehren sie ab. Es ist wichtig zu erforschen und wahrzunehmen, womit wir diese natürlichen Prozesse des erhöhten Energieumsatzes in unserem Organismus stören. In meinem Fall könnte ein inneres Selbstgespräch etwa so lauten: „Hoffentlich merken sie nicht, dass ich so aufgeregt bin!“ „Um Gottes Willen, jetzt werde ich rot!“ „Was, wenn ich alles, was ich sagen wollte, vergessen habe?“ „Wie peinlich, meine Knie zittern!“ usw., usw.

Das können also Teil eines „Repertoires“ sein, das jeder individuell pflegt und das innerlich abläuft, wenn wir uns in so einer Situation befinden. Dieses Repertoire bildet eine Art von persönlicher Denk-Gewohnheit. Was passiert mit dem Körper in so einer Situation? Er befindet sich in einer Zwickmühle: einerseits kommt durch diese Aufregung mehr Energie in Umlauf - wir fühlen uns belebt, wacher, energetischer, bereit zur Aktivität. Andererseits kommen mentale Botschaften, die das Ganze drosseln wollen: „Bloß nicht, weg damit, kann ich nicht gebrauchen, die Anderen sollen bloß nichts davon merken!“ Es gibt also eine Richtung in uns, die mehr expandieren will, die „raus“ will, sich ausdrücken will, bewegen will- und es gibt die andere Richtung, die alles einengen, kontrollieren und einschnüren will. Unser Körper entwickelt daraufhin verschiedene Muster, um diese Energie zu bremsen und um sie möglichst nicht zu spüren: wir „reißen“ uns zusammen, wir halten fest, machen uns eng, halten den Atem an, brechen den visuellen Kontakt mit der Umgebung ab, sind insgesamt weniger präsent.

Das sind Reaktionen, die nicht hilfreich und vorteilhaft sind, um das machen zu können, was wir vorhaben. Im Gegenteil: sie schaden uns, in dem sie beträchtlich unsere Fähigkeiten und Begabungen beeinträchtigen. Wir verbrauchen sehr viel Energie, für diesen Kampf zwischen den zwei Seiten in uns: lasse ich die Aufregung zu, oder will ich sie verdrängen? Dieser Prozess steigert sich unter Umständen immer weiter: die angestaute Aufregung fühlt sich immer unangenehmer an, der Körper wird daraufhin immer enger und fester im Bestreben die Situation in den Griff zu bekommen, was wiederum die ganzen Angstsymptome noch mehr verstärkt! Kommen wir jetzt zurück zu unserer Ausgangssituation. An der gleichen Stelle kann ich mir - ehe es so schlimm wird - sagen: „Es ist in Ordnung aufgeregt zu sein, es ist was ganz normales und natürliches; es ist nur Energie, die mobilisiert wird, Energie, die ich brauche, um so eine exponierte Situation wie ein Vorspiel oder einen Vortrag zu bewältigen.“

Die mentale Seite dieses Vorganges kann ich generell mit den Worten beschreiben: ich sage einfach „ja“ zu der Situation. Ich sage: „Es ist in Ordnung so zu sein, wie ich jetzt bin und ich kämpfe nicht mehr dagegen an“. Gleichzeitig werde ich bestimmte Botschaften an meinen Körper senden, Botschaften, die ihm helfen sollen nicht fest und eng zu werden. Vielleicht werde ich damit anfangen, dass ich mir sage: „Bleibe im Augenkontakt mit dem Publikum“. Dafür muss ich nichts Besonderes tun - es ist lediglich eine Erinnerung im Kontakt zu bleiben. Oder ich kann mir sagen: „Lass‘ die Füße los und erlaube dem Boden dich zu tragen“. Auch hier gilt es, nichts dafür zu tun - der Boden trägt mich ja ohnehin. Es reicht, wenn ich mich daran erinnere, dieser Tatsache zuzustimmen und nichts dagegen zu tun. Diesen ganzen inneren Dialog beginne ich jedoch am besten mit der folgenden Botschaft: „Ich bitte meinen Hals um etwas Leichtigkeit, damit sich mein Kopf nach oben bewegen kann und mein ganzer Organismus dieser Bewegung folgen kann.“


Warum beginne ich gerade mit dieser Botschaft? Damit sind wir bei F.M. Alexander und seiner Entdeckung angelangt. Alexander war ein Schauspieler, der unter Stimmproblemen litt. Da die Ärzte ihm nicht helfen konnten, beschloss er, die Ursache für seine Probleme selbst zu finden. Im Laufe seiner Experimente entdeckte er wichtige Prinzipien, wie wir unseren Organismus im Gleichgewicht behalten und ihn in unseren Aktivitäten sinnvoll einsetzen können. Seine erste und wichtigste Entdeckung war, dass das Verhältnis zwischen Hals, Kopf und dem Rest des Körpers ausschlaggebend ist für die Qualität aller unserer Bewegungen und Aktivitäten. Damit meint er nicht eine statische Haltung, sondern ein dynamisches Verhältnis, das die Voraussetzung ist für die Fähigkeit, Leichtigkeit, Beweglichkeit, Balance und Effizienz in allen unseren Tätigkeiten zu bewahren.


Einmal aus diesem Gleichgewicht herausgefallen, haben wir die Tendenz unseren Hals anzuspannen und zu verkürzen, unseren Kopf nach hinten und unten zu ziehen und damit unseren gesamten Organismus zu stören. Eine weitere wichtige Erkenntnis Alexanders war, dass es nichts zu tun gibt, um diesen Zustand zu verbessern, außer aufzuhören das zu tun, womit wir ihn stören. Um damit aufzuhören etwas zu tun, bedarf es wiederum nur der bewussten Einladung in die gewünschte Richtung loszulassen. Keine so leichte Aufgabe in unseren Zivilisation, die gewohnt ist ihre Probleme mit „tun“, „machen“, „anstrengen“ etc. zu lösen. Einfach um Leichtigkeit und Beweglichkeit bitten, um durchgängige Ruhe in uns, so dass unser ganzer Organismus zu seiner ursprünglichen Koordination finden kann? Es verlangt Vertrauen von uns, Vertrauen in die Fähigkeit unseres Geistes mit solchen Botschaften Veränderung in unseren tief eingeprägten Mustern zu bewirken und Vertrauen in unseren Körper, dass er imstande ist, solche Botschaften umzusetzen, ohne dass wir ihn dauernd kontrollieren müssen

Wir beginnen also damit, dass wir die Situation wahrnehmen und annehmen so wie sie ist. Dieses Annehmen ist eine wichtige Brücke zwischen dem Zustand wie er ist und dem Zustand wie wir ihn gerne hätten. Wir können nicht sofort einen Sprung machen und eine andere Person werden, wir müssen uns erst einmal akzeptieren so wie wir sind und eine wohlwollende Haltung uns selbst gegenüber entwickeln (unter Umständen ist alleine dieser Teil des Prozesses schon eine ziemliche Herausforderung). Im zweiten Teil des Prozesses laden wir uns ein in die Richtung, die für eine gute Koordination und Balance optimal ist. Dies nannte Alexander „konstruktive, bewusste Steuerung“. Das sind Vorgänge, die immer wieder wiederholt werden müssen, die eingeübt werden müssen und, die mit einer konkreten Sinneswahrnehmung einhergehen müssen. Das kann im Alexander-Technik-Unterricht geübt und erlernt werden.

Und was hat sich am Ende an unserer Aufregung verändert? Wahrscheinlich gar nichts - wir sind weiterhin aufgeregt — aber wir können jetzt die Aufregung unter Umständen sogar genießen. Wir können sie und uns als einen Teil des Geschehens annehmen, als eine Form von Dasein und Lebendigkeit auffassen. Ausschlaggebend dafür ist, ob wir mit so etwas wie Aufregung oder Stress automatisch zusammenziehen verbinden oder, ob wir imstande sind, unsere natürliche Ausdehnung zu bewahren. Mit Ausdehnung ist dabei Ausdehnung in einem umfassenden Sinne gemeint - Geist, Körper, Gedanken, Gefühle, Wahrnehmung. Die Arbeitsmittel, die ich ihnen bis jetzt beschrieben habe, nannte Alexander „directions“ und „inhibition“, auf Deutsch bedeutet das Direktiven oder Anweisungen und Innehalten. Direktiven nennen wir alle gedachten Anweisungen: in meinem negativen Beispiel („schrecklich, ich bin aufgeregt!“), wie im positiven („den Hals um Leichtigkeit bitten...). Direktiven sind also jegliche Botschaften, die wir vom Gehirn an unsere Körpermechanismen aussenden und die verursachen, dass wir besser oder schlechter koordiniert sind.

Es stellt sich für uns die Frage, wie können wir die bestmöglichen Direktiven benutzen, solche, die uns helfen optimal zu funktionieren. In diesem Sinne sind Direktiven also gedankliche Wegweiser, mentale Erinnerungen an unseren Raum und an unsere Größe; sie sind eine Erlaubnis so groß und so lebendig und wach zu sein, wie es uns nur möglich ist; sie sind Einladungen den ganzen Raum, die ganze Lebendigkeit, Größe und Präsenz einzunehmen, die uns zustehen - die wir einfach sind, wenn wir uns nicht stören. Diese neuen Direktiven haben also die Qualität einer bewussten Entscheidung. Das kann zunächst ungewohnt und anstrengend sein, aber wie jede Fertigkeit, wird auch diese mit der Zeit und durch Übung müheloser und fließender und vor allem, sie erleichtert enorm unseren Alltag. Noch etwas zum Innehalten. Das war ein äußerst wichtiger Schritt in Alexanders Arbeit. Er fand heraus, dass es nicht möglich war direkt etwas Neues und Richtiges in seinem Umgang mit dem Sprechen zu erreichen, ohne zunächst einmal aus dem ganzen Kreislauf der Gewohnheit und Zielfixiertheit auszusteigen. Dies erreichte er, indem er sich im entscheidenden Moment, vor dem Anfang des Sprechens, die Wahl offen ließ, ob er jetzt tatsächlich sprechen will, oder stattdessen was anderes machen will, oder vielleicht keines von beidem ausführen wird.

Mit dieser Offenheit der Wahl und mit dem Gebrauch neuer, konstruktiver Direktiven erreichte er endlich sein gewünschtes Ziel, frei und unbeschwert zu sprechen. Es ist wichtig zu verstehen, dass mit Innehalten nicht gemeint ist, dass wir unsere Ziele aufzugeben oder, dass wir unlebendig und vorsichtig werden. Innehalten ist ein Zustand der Wachheit und inneren Ruhe, die uns erlaubt anders zu reagieren. Wir bremsen also unsere Bewegungen und Aktivitäten nicht, wir schaffen nur andere Voraussetzungen, mit denen es möglich ist, das störende Zusammenziehen in der jeweiligen Aktivität wegzulassen. Ernsthafte Probleme entstehen, wenn dieses Zusammenziehen eine ständige Gewohnheit geworden ist. Wenn wir es also benutzen bei jedem Aufstehen und Hinsetzen, bei jedem Hände schütteln, jedem Instrument in die Hand nehmen, bei jedem Schritt den wir tun, 24 Stunden täglich sozusagen und das über Wochen, Monate, Jahre und Jahrzehnte.

Dann kann es passieren, dass - egal wie begabt und musikalisch, intelligent und fleißig wir sind, egal wie sehr wir unseren Beruf lieben - unserer Körper streikt. Die Statistiken über Musikererkrankungen sprechen da für sich. Wenn Sie noch jung sind oder eine gute Konstitution haben, kann sich dieser ungünstige Umgang mit sich selbst vielleicht nur in Müdigkeit, ineffektivem Üben oder einem diffusen Unwohlsein äußern. Aber wenn es auch nur dieses nicht ganz angenehme, etwas unausgeglichene Gefühl ist - warum nicht das gute Gefühl haben, warum nicht das beste Gefühl haben, das wir haben könnten? Warum nicht die beste Musik machen, die wir persönlich machen können und dabei eben nicht verspannt, erschöpft oder krank werden? Ich wollte sie mit diesem Vortrag darauf aufmerksam gemacht haben, wie wichtig es ist, wie wir mit uns umgehen, wie wir dieses Instrument, das uns zum Leben gegeben wurde, unseren Körper nämlich, mit Respekt und Sorgfalt behandeln und, wie wir lernen können mit ihm sinnvoll umzugehen.